Wissenschaftler des Forschungszentrums Borstel (DZL-Standort ARCN) haben herausgefunden, dass die Bakterien-RNA entscheidend ist für den sogenannten „Bauernhof-Effekt“. Die Ribonukleinsäure (RNA) trägt erheblich zum Schutz vor Allergien und Asthma bei. Zuvor war man davon ausgegangen, dass es im wesentlichen Zellwandbestandteile der Bakterien sind, die für diesen Schutzeffekt verantwortlich sind.
Wenn Kinder auf dem Land – insbesondere auf einem Bauernhof – aufwachsen, haben sie im Vergleich zu Stadt-Kindern ein geringeres Risiko, später an Allergien oder Asthma zu erkranken („Bauernhof-Effekt“). Dies ist seit rund 20 Jahren aus epidemiologischen Untersuchungen bekannt. Die sogenannte Hygiene-Hypothese geht davon aus, dass Bestandteile dieser ‚schmutzigeren‘ ländlichen Umgebung das kindliche Immunsystem so prägen, dass es Fehlreaktionen auf an sich harmlose Umweltsubstanzen unterbindet.
In einem von Wissenschaftlern des Forschungszentrums Borstel geleiteten Projekt konnte nun ein Mechanismus gefunden werden, der diese Hypothese stützt. Die Forscher nahmen in der Studie das Bakterium Lactococcus lactis G121, ein Vertreter der Milchsäurebakterien, genauer unter die Lupe. Dabei handelt es sich um einen auf Bauernhöfen vorkommenden Mikroorganismus, der bereits in früheren Studien eine vor Allergien schützende Wirkung zeigte. Gelangen die ¬– für den Menschen ungefährlichen – Bakterien in den Körper, so werden sie von Dendritischen Zellen aufgenommen. Diese stellen einen wichtigen Teil des Immunsystems dar: Sie nehmen Substanzen aus ihrer Umgebung auf und verarbeiten diese, um eine geeignete Immunreaktion auszulösen. Das Immunsystem wird dabei in Richtung Th1- oder Th2-Antwort „polarisiert“. Im Gegensatz zu den allergischen Th2-Antworten schützen Th1-Immunreaktionen vor allergischen Reaktionen.
Per Ausschlussverfahren ermittelten die Borsteler Wissenschaftler nun, wie Bakterienbestandteile Th1-Antworten begünstigen und so zum Schutz vor Asthma beitragen können. Die Lactococcus-Bakterien werden innerhalb der Dendritischen Zellen in den sogenannten Endosomen in Fragmente zerlegt. Wie die Wissenschaftler nun neu herausfanden, sind es die Ribonukleinsäuren (RNAs) aus den Bakterien, die für den vor Allergien und Asthma schützenden, Th1-polarisierenden Effekt entscheidend sind: Diese Ribonukleinsäuren binden an spezielle Toll like-Rezeptoren, welche die Dendritische Zelle veranlassen, ganz bestimmte Botenstoffe (Zytokine) auszuschütten. Diese Zytokine können wiederum an T-Zellen binden und sie in Richtung Th1-Antwort polarisieren. Im Tiermodell konnte so gezeigt werden, dass eine allergische Reaktion in den mit Lactococcus behandelten Tieren verhindert werden kann.
„In früheren Studien hat man festgestellt, dass Zellwandbestandteile von Bakterien zum ‚Bauernhofeffekt‘ beitragen können“, sagt Holger Heine, Leiter der Borsteler Forschungsgruppe „Angeborene Immunität“. „Beim neuen, von uns entschlüsselten Mechanismus müssen Lactococcus-Bakterien allerdings komplett aufgenommen und zerlegt werden, sodass die RNAs ihre Wirkung entfalten können. Offenbar ist eine gewisse Diversität von Vorteil, also ein Cocktail verschiedener Mikroorganismen und ihrer Bestandteile, um das kindliche Immunsystem noch besser vor Asthma und Allergien zu schützen.“
Wie und wodurch dies geschieht, wollen die Borsteler Wissenschaftler in Zukunft vollständig aufklären. Ziel ist es, Vorbeugungs- und Behandlungsansätze für Allergien und Asthma entwickeln zu können.
Stein, K, Brand S, Jenckel A, Sigmund A, Chen ZJ, Kirschning CJ, Kauth M, Heine H. 2016. Endosomal recognition of Lactococcus lactis G121 and its RNA by dendritic cells is key to its allergy-protective effects. Journal of Allergy and Clinical Immunology. [Epub ahead of print]
Quelle: ARCN