Ein Mensch besteht im Durchschnitt aus etwa 30 Billionen Körperzellen – und ebenso vielen Bakterien. Ohne sie sind wir nicht lebensfähig. Nicht nur im Darm, auf unserer Haut oder im Magen übernehmen die Mikroorganismen wichtige Aufgaben. Auch die Lunge hat ein Mikrobiom, eine Lebensgemeinschaft aus Bakterien, Viren und Pilzen, die für die Funktion des Organs unverzichtbar ist. Ein Team unter der Leitung von DZL-Forscher Professor Dr. Dr. Burkhard Tümmler, Forschungsgruppenleiter Molekulare Pathologie der Mukoviszidose an der Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), hat jetzt die Zusammensetzung der Lungenflora bei Säuglingen und Kleinkindern mit und ohne zystischer Fibrose (Mukoviszidose) untersucht und herausgefunden, wie sich ein gesundes Mikrobiom der unteren Atemwege entwickelt. Die Studie wurde in der renommierten Fachzeitschrift Biofilms and Microbiomes veröffentlicht.
„Bis vor kurzem galten die unteren Atemwege des Menschen als steril“, erklärt Professor Tümmler. Daher hätten die meisten Studien die Mikrobiologie der Lunge nur bei akuten Infektionen oder chronischen Lungenerkrankungen untersucht. „In unserer Arbeit haben wir erstmals Hustenabstriche von gesunden Kindern im Alter von drei Wochen bis sechs Jahren gesammelt, auf die vorhandenen Mikroorganismen getestet und mit denen von gleichaltrigen Mukoviszidose-Erkrankten verglichen“, erklärt der Forschungsgruppenleiter. Dafür mussten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Hürden überwinden. Eine besondere Herausforderung war die Qualität der Proben. Denn Bakterien, Viren und Pilze befinden sich überall in der Luft und im Wasser. „Um die Proben nicht aus Versehen mit Fremdorganismen zu verunreinigen, mussten wir extrem sorgfältig bei der Entnahme und Weiterverarbeitung sein“, betont Marie-Madlen Pust, Doktorandin in der Forschungsgruppe und Erstautorin der Studie. Eine weitere Schwierigkeit war, aus jedem einzelnen Abstrich die DNA der vielen verschiedenen Mikroorganismen-Arten herauszufiltern und richtig zuzuordnen. „Die jeweiligen Sekretproben enthielten nur wenige Milliardstel Gramm an Genmaterial und davon stammten etwa 90 Prozent von den Kindern und nur zehn Prozent von der Lebensgemeinschaft der Mikroorganismen“, erklärt die Nachwuchswissenschaftlerin. Für die Analyse haben MHH-Bioinformatiker eine sogenannte Metagenom-Pipeline entwickelt, die gesamte Erbgutmenge des Mikrobioms mit Hilfe einer Sequenzierungsmaschine ausgelesen und anschließend die riesige ungeordnete DNA-Datenmenge mit Hochleistungsrechentechnik den entsprechenden Mikroorgansimen wieder zugeordnet.
Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass sich das Lungenbiom der gesunden und kranken Kinder in den ersten drei Lebensjahren kaum voneinander unterscheidet. „Sie hatten eine ganz ähnliche Zusammensetzung aus unterschiedlichen Bakterienarten, die offenbar in Wechselbeziehung zueinander stehen und eine Art Netzwerk bilden“, sagt die Erstautorin. Dazu gehören überraschenderweise auch Krankheitskeime wie Staphylococcus aureus oder der gefürchtete Mukoviszidose-Erreger Pseudomonas aeruginosa, der als Umweltkeim überall vorkommt – auch im Trinkwasser. Im ersten Lebensjahr ist dieses Netzwerk bei Kindern mit zystischer Fibrose (cystic fibrosis, CF) zwar etwas instabiler, bei Zwei- bis Dreijährigen gibt es jedoch kaum Unterschiede. Erst mit zunehmendem Alter ändert sich das Mikrobiom bei CF-Betroffenen wieder. Die Vielfalt der Bakterienarten nimmt ab, die Krankheitskeime überwiegen und setzen sich chronisch in der Lunge fest und das sensible Netzwerk bricht auseinander. Bei gesunden Kindern dagegen bleibt das Netzwerk stabil, obwohl ihre Lungen eine deutlich höhere Bakterienlast aufweisen.
„Aus unserer Studie geht hervor, dass für eine gesunde Lunge die Gesamtzusammensetzung des Mikrobioms entscheidend ist“, betont Studienleiter Tümmler. Diese Kohorte gesunder Kinder lässt sich künftig als Vergleichswert für andere Studien nutzen. „Bislang konnten ja nur die Befunde unterschiedlich kranker Kinder verglichen werden“, erklärt der Wissenschaftler. Auch für die Behandlung der Mukoviszidose gebe die Studie einen entscheidenden Hinweis: Während die Behandlung älterer CF-Patientinnen und Patienten nur eingeschränkt möglich ist, gebe es bei Kleinkindern offenbar ein Zeitfenster, um die biologischen Prozesse in der Lunge günstig für den weiteren Krankheitsverlauf zu beeinflussen.
Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit dem DZL am Standort Hannover und der Zentralen MHH-Forschungseinheit für Gensequenzierung GENOMICS. Sie wurde aus Mitteln des Sonderforschungsbereiches SFB 900 („Mikrobielle Persistenz und ihre Kontrolle“) finanziert
Quelle: idw