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3. Mai 2017

Atemwegsinfektionen: Wie Coronaviren Zellen umprogrammieren

News 15-2017 DE

Ein interdisziplinäres Team unter Leitung von DZL-Wissenschaftlern der Justus-Liebig -Universität Gießen identifiziert epigenetische Kontrollmechanismen der Genantwort der Wirtszelle bei Infektionen mit dem Coronavirus 229E. Coronaviren sind weltweit verbreitete wichtige Verursacher von humanen und tierischen Erkrankungen, insbesondere der Atmungsorgane.

Durch ihr großes Genom, das größte bekannte Genom aller RNA-Viren, können Coronaviren sich besonders vielfältig und schnell an neue Situationen anpassen. Wie bewerkstelligen die Coronaviren es, den zellulären Stoffwechsel so umzuprogrammieren, dass neue infektiöse Viruspartikel produziert werden? Und was sind die molekularen Ursachen der unterschiedlichen Krankheitsverläufe durch verschiedene Coronavirus-Infektionen? Ein interdisziplinäres Forscherteam unter Beteiligung von DZL-Wissenschaftlern am Standort UGMLC hat nun die Genantwort der Wirtszelle und ihre epigenetischen Kontrollmechanismen entschlüsselt.

Die vier bekannten humanen Coronaviren, zu denen auch das in der Studie untersuchte Coronavirus 229E gehört, verursachen überwiegend relativ mild verlaufende und vorübergehende Infektionen der oberen Luftwege. Infektionen mit den ähnlich aufgebauten verwandten zoonotischen Coronaviren SARS-CoV und MERS-CoV können jedoch zu schwersten Lungenentzündungen bis hin zum Lungenversagen führen, wenn diese Viren aus dem Tier in einen menschlichen Wirt wechseln. Wie alle Viren benötigen auch Coronaviren einen geeigneten Wirt, um sich zu vermehren. Nach dem Eindringen in spezifische Wirtszellen wird das Coronavirus-Genom im Zytoplasma infizierter Zellen freigesetzt und dort vermehrt. In den erkrankten Organen finden sich vermehrt Botenstoffe des angeborenen Immunsystems, insbesondere sogenannte Zytokine, und entzündliche Veränderungen. Basierend auf ihrer Expertise in der Analyse molekularer Entzündungsvorgänge hat das Wissenschaftlerteam die molekularen Vorgänge in den infizierten Zellen systematisch erfasst.

Bioinformatische Analysen zeigten, dass das virusregulierte Genspektrum vermutlich deutlich komplexere biologische Funktionen steuert, als das einer nur entzündlich aktivierten Zelle. Um besser zu verstehen, wie ein im Zytoplasma replizierendes Virus so umfassend die Genomfunktionen einer Wirtszelle beeinflussen kann, kartierten die Forscherinnen und Forscher fünf epigenetische „Fingerabdrücke“ der DNA-Hüllproteine (den Histonen). Sie fanden über tausend durch Coronaviren aktivierte DNA-Elemente (sogenannte Enhancer), die ein eigenes Muster bilden und offenbar dafür sorgen, dass nur ganz bestimmte Gene des Zellstoffwechsels so aktiviert werden, dass sie dem Virus nützen. Gleichzeitig werden andere DNA-Bereiche im Zellkern abgeschaltet oder ihre Aktivität gedämpft – offenbar um Genprodukte, die die Zellen schützen oder andere Immunzellen anlocken könnten, zu blockieren. Coronaviren führen also zu einer genomweiten Reprogrammierung von Funktionen im Zellkern.

In einem weiteren Ansatz unterbrachen die Forscherinnen und Forscher die Signalwege, die zur Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-κB, einem zentralen genetischen Schalter von Immunvorgängen, führen und untersuchten die Konsequenzen sowohl für die Virusreplikation als auch für die Wirtszellfunktionen. So konnten sie zeigen, dass Coronaviren die Aktivität dieses wichtigen Faktors deutlich hemmen – wodurch eine mögliche Abwehrreaktion der Wirtszelle abgeschwächt wird –, aber nicht komplett aufheben. Dadurch bleiben bestimmte Zellfunktionen noch erhalten, die das Virus offenbar braucht.

„Wir haben im Rahmen dieser Untersuchungen einerseits besser verstanden, wie ein Coronavirus mechanistisch funktioniert. Zum anderen haben wir mit Hilfe von pharmakologischen Substanzen und neuen genetischen Methoden wie der RNA-Interferenz und der Genschere Crispr/Cas9 auch Wege gefunden, die Coronavirus-spezifischen Gene gezielt zu hemmen“, erklärt DZL-Wissenschaftler Prof. Dr. Michael Kracht, der die Studie leitete.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen, dass man in Zukunft das Ausmaß der Zellschädigung bei einer Coronavirus-Infektion anhand der Gensignatur voraussagen und dann mit Medikamenten, die im Zellkern angreifen, die weitere Aktivierung dieser Gene verhindern kann.

Wissenschaftlicher Ansprechpartner:

Prof. Dr. Michael Kracht (DZL-Standort UGMLC), Rudolf-Buchheim-Institut für Pharmakologie
Biomedizinisches Forschungszentrum Seltersberg (BFS)
Schubertstraße 81, 35392 Gießen
Tel.: 0641 99-47600/-39740
E-Mail: Michael.Kracht@pharma.med.uni-giessen.de

 

Weitere Informationen

Originalpublikation:

Poppe M, Wittig S, Jurida L, Bartkuhn M, Wilhelm J, Muller H, Beuerlein K, Karl N, Bhuju S, Ziebuhr J, Schmitz ML, Kracht M. 2017: The NF-κB-dependent and -independent transcriptome and chromatin landscapes of human coronavirus 229E-infected cells. PLoS Pathog 13:e1006286. DOI: 10.1371/journal.ppat.1006286

zur Pressemitteilung der Justus-Liebig-Universität Gießen

 

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