Millionen Kinder erkranken bereits in jungen Jahren an Asthma. Bauernhofkinder haben ein geringeres Asthmarisiko als Kinder, die nicht auf einem Bauernhof leben. Die Mechanismen, die hinter der Schutzwirkung des Bauernhofs vor Asthma im Kindesalter stehen, sind nicht vollständig bekannt. DZL-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) klärten nun, wie das Darmmikrobiom von Kindern an diesem Schutzprozess beteiligt ist.
Ab Geburt sind wir einer Umwelt voller kleiner Organismen ausgesetzt, sogenannte Mikrobiota. In den ersten Minuten und Stunden unseres Lebens beginnen sie unser Immunsystem herauszufordern, es aber auch zu trainieren. Das größte Immunorgan ist unser Darm, weshalb die Reifung des Immunsystems untrennbar mit der Reifung der kolonisierenden Bakterien, dem Darmmikrobiom, verbunden ist. Nach tiefgreifenden Veränderungen im ersten Lebensjahr, dem Reifungsprozess, stabilisiert sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms allmählich und begleitet uns ein Leben lang. Frühere Studien der Münchner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten, dass ein vielfältiges Umweltmikrobiom zu einer Schutzwirkung vor Asthma führt, die besonders bei Bauernkindern ausgeprägt ist. Die Forschungsgruppe untersuchte nun, ob dieser Effekt auf den Reifungsprozess des Darmmikrobioms bei Kindern zurückzuführen sein könnte.
Dazu analysierten die Forschenden Stuhlproben von mehr als 700 Kindern im Alter von zwei bis zwölf Monaten, die teilweise auf traditionellen Bauernhöfen aufwuchsen. Die Proben stammten aus PASTURE, einer europäischen Geburtenkohorte, die bereits seit knapp 20 Jahren läuft und von der Europäischen Kommission gefördert wird.
„Wir stellen fest, dass ein vergleichsweise großer Teil der Schutzwirkung des Bauernhofs vor Asthma im Kindheitsalter auf die Reifung des Darmmikrobioms im ersten Lebensjahr zurückzuführen ist“, erklärt Dr. Martin Depner, Biostatistiker am Helmholtz Zentrum München, und stellt weiter fest: „Dies deutet darauf hin, dass Bauernhofkinder mit Umweltfaktoren, wahrscheinlich Mikrobiota, in Berührung kommen, die mit ihrem Darmmikrobiom interagieren und diesen Schutzeffekt herbeiführen.“
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gingen davon aus, dass die Ernährung zur Reifung des Darmmikrobioms beiträgt. Sie waren jedoch überrascht, dass bauernhofspezifische Einflüsse wie der Aufenthalt in Tierställen einen starken Einfluss auf die Reifung hatten. Dies bestätigt, dass die Umwelt, in der man aufwächst, eine Rolle für die Schutzwirkung vor Asthma im Kindesalter spielt. Für die Zeit der ersten zwei Lebensmonate trugen eine vaginale Geburt und Stillen des Kindes ebenfalls zur Schutzfunktion des Mikrobioms bei.
Darüber hinaus stellten die Forschenden eine inverse Assoziation von Asthma mit der gemessenen Konzentration von Butyrat im Stuhl fest. Butyrat ist eine kurzkettige Fettsäure, von der bekannt ist, dass sie bei Mäusen eine asthmaschützende Wirkung hat. Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass Darmbakterien wie Roseburia und Coprococcus, die kurzkettige Fettsäuren produzieren, auch beim Menschen zum Asthmaschutz beitragen könnten. Kinder mit einem ausgereiften Darmmikrobiom wiesen im Vergleich zu anderen Kindern eine höhere Menge an Roseburia- und Coprococcus-Bakterien auf.
„Unsere Studie liefert weitere Hinweise darauf, dass der Darm einen Einfluss auf die Gesundheit der Lunge haben kann. Die Atemwege der untersuchten Kinder wurden durch ein ausgereiftes Darmmikrobiom mit einem hohen Gehalt an kurzkettigen Fettsäuren geschützt. Dies spricht für die Idee einer relevanten Darm-Lungen-Achse beim Menschen“, sagt Dr. Markus Ege, Professor für klinisch-respiratorische Epidemiologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital. „Das bedeutet aber auch, dass ein unreifes Darmmikrobiom zur Entstehung von Krankheiten beitragen kann. Umso wichtiger sind Präventionsstrategien im ersten Lebensjahr, wenn das Darmmikrobiom noch leicht beeinflusst werden kann.“
Die Studie zeigt weiterhin, dass es kein einziges Bakterium gibt, das alleine für den Asthmaschutz verantwortlich ist. Vielmehr ist die Reifung des gesamten Darmmikrobioms der Schlüsselfaktor. Diese Erkenntnis stellt den Einsatz einzelner Bakterien als Probiotika zur Asthma-Prävention in Frage. Vielmehr sollten Probiotika im Hinblick auf ihre nachhaltige Wirkung auf die Zusammensetzung des Darmmikrobioms und dessen Reifung geprüft werden.
Ernährungsspezifische Aspekte der Studie können für Präventionsstrategien genutzt werden, zum Beispiel Kuhmilch. Unverarbeitete Rohmilch kann jedoch wegen des Risikos lebensbedrohlicher Infektionen wie EHEC nicht empfohlen werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft des Dr. von Haunerschen Kinderspitals führen derzeit eine klinische Studie über die Auswirkungen von minimal verarbeiteter, aber mikrobiologisch sicherer Milch zur Vorbeugung von Asthma und Allergien durch (MARTHA-Studie).
Quelle: HMGU
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Depner et al., 2020: Maturation of the gut microbiome during the first year of life contributes to the protective farm effect on childhood asthma. Nature Medicine, DOI: 10.1038/s41591-020-1095-x
Helmholtz Zentrum München
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Forschungszentrum die Mission, personalisierte medizinische Lösungen zur Prävention und Therapie umweltbedingter Krankheiten für eine gesündere Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt zu entwickeln. Es erforscht das Entstehen von Volkskrankheiten im Kontext von Umweltfaktoren, Lebensstil und individueller genetischer Disposition. Besonderen Fokus legt das Zentrum auf die Erforschung des Diabetes mellitus, Allergien und chronischer Lungenerkrankungen. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.500 Mitarbeitende und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands mit mehr als 40.000 Mitarbeitenden in 19 Forschungszentren.